Start Entertainment Schubladendenken macht blind!

Schubladendenken macht blind!

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Schubladendenken (Quelle: unsplash)

Ein Review des Dating-Experiments Love Is Blind

Kennt ihr das auch? Nach der Arbeit hilft zum Abschalten nur noch ein Film auf Netflix. Nicht nur, dass man den Film guckt, irgendwann spielt man nebenher auf dem Smartphone Solitär, schreibt mit Freunden, liest einen Artikel oder löst auf dem iPad ein Kreuzworträtsel. Ganz Alibi-mäßig verlagert man nach dem Zähneputzen den Film ins Bett. Obwohl man schon längst nicht mehr wirklich weiß, wie es zu der Situation gekommen ist, bleibt man bei dem Film und der Berieselung.
Während man eigentlich schon halb eingeschlafen ist, macht man sich selbst nach einem langweiligen Film noch den nächsten an. Oft ist da kein Filter mehr in der Auswahl. Einfach das nächste anklicken! Und Zack – die unverfrorene Wahl schlägt wie eine Bombe ein! Alle Lichter sind wieder an. Das Bett kann warten. Plötzlich realisiert man, dass es nicht nur ein Film, sondern eine Serie ist. Okay, das wird eine schlaflose Nacht!

Love is Blind

Wir leben in einer Zeit von Apps und Online Portalen wie Tinder oder Fremdgehen69. Auch der Frauenkampf hat der verblümten Sichtweise die kalte Realität aufgebunden. Auf der einen Seite wollen wir Frauen Gleichberechtigung und nicht mehr als sexuelle Objekte gesehen werden – Auf der anderen Seite nutzen gefühlt die Hälfte der Frauen und Männer eine App, die auf Äußerlichkeiten und Oberflächlichkeit beruht. Mit einem vom Filter belegtem Selfie swipen Mann und Frau 2020 to the right. It’s a match!

Versteht mich nicht falsch, ich habe selbst in der Vergangenheit Tinder benutzt, allein um herauszufinden, was ich nach acht Jahren Beziehung so alles verpasst habe. Ich würde niemanden verurteilen, der es nutzt. Das Einzige was ich versuchen möchte, ist klar zu bekommen, was wir da eigentlich in der Gesellschaft erreichen wollen!? Gleichberechtigung oder Oberflächlichkeit?

Vielleicht ist Love is Blind ein Vorreiter des sexuellen Umdenkens?

Kalt erwischt hat mich dann die Serie Love is Blind. Die Serie wurde von Kinetic Content produziert und ging am 13. Februar 2020 auf Netflix online. Das drei-wöchige Event beinhaltet eine Phase, in der 13 Männer und Frauen sich täglich, getrennt durch eine Wand daten. Schon nach kurzer Zeit wird klar wer sich hören kann und wer nicht. Voraussetzung dafür, seinen Favoriten richtig kennen zu lernen und zum ersten Mal zu sehen, ist ein verbindlicher Heiratsantrag mit Hochzeitstermin in vier Wochen.

Aus der anfänglichen Phase haben sich fünf Paare gefunden. Ich hatte direkt meine Lieblinge. Sie passen gut zueinander. Das verblüffende ist, dass sich hier wirklich auf das Wesentliche konzentriert wird. Keine äußeren Einflüsse durch Familie, Freunde, Gesellschaft oder Social Media. Es ist das absolute Kontrastprogramm zur heranwachsenden Gesellschaft.

Schaffen die Paare ihr happily ever after? (Quelle: unsplash)

Nach dem emotionalen Kennenlernen ohne Ablenkung folgt ein bezahlter Urlaub in Mexico mit den verlobten Partnern. Hier kommt die körperliche Komponente einer Beziehung ins Spiel. Die meisten Paare empfinden auch auf der physischen Ebene die gleiche Anziehung. Nur bei einem Paar scheint die erlernte Oberflächlichkeit im Wege zu stehen.

Dann folgt der nächste Schritt (hier bin ich aktuell!): das Zusammenziehen. Noch drei Wochen bis zur Hochzeit und die Paare erleben immer mehr gesellschaftlichen Druck von Familie und Freunden. Jetzt gilt es zu testen, ob die Verliebtheit auch in der echten Welt seine Wahrheit findet.

Und wer macht bei sowas mit?

Immer wieder geht mir durch den Kopf, wer und vor allem wie die Kandidaten im echten Leben sind: Wer hat in einem normalen Alltag mit Job und Verpflichtungen Zeit, bei so einer Realityshow mitzumachen? Wollen die Menschen berühmt werden oder wirklich nur einen Partner finden? Sind die Teilnehmer verzweifelt auf der Suche oder einfach nur noch unbefriedigt durch die unglaublichen Möglichkeiten in unserer Gesellschaft?

Bisher kann ich sagen, dass die Paare eigentlich eine ganz normale Beziehung führen, nur alles (durch die Abschottung und das betreute Heranführen an den Alltag) in einem Affentempo erleben. Es sind Menschen wie du und ich. Mal zeigt die eine Person Verhaltensmuster, die ich kenne, mal eine andere. Jeder Mensch schreibt seine Geschichte. Die Teilnehmer der Serie teilen sie einfach mit der ganzen Welt. Ob ihnen das bewusst ist?

„Ich gucke so einen Schrott doch eigentlich nicht!“

Währenddessen merke ich, dass ich Vorurteile abbaue. Ich hätte mir niemals eine Reality Show ausgesucht, wenn ich nicht so halb schlafend einfach auf irgendwas geklickt hätte, um mich weiterhin in den Schlaf wiegen zu lassen.

Vor dem inneren Auge tauchen Wörter wie „Trash TV“ oder „bizarre Darstellung“ auf. In der Serie selbst liegt ein Stigma, das mich mit mir selbst konfrontiert. Meine Denkstrukturen dürfen sich neuen Wegen widmen.

Ich finde die Teilnehmer cool. Ich verstehe noch nicht warum sie bei der Show mitmachen; andererseits finde ich es so spannend, diesen Test betrachten zu dürfen, dass eine wissenschaftliche Komponente in mir den Drang auslöst, selbst mitzumachen – hätte ich meinen Partner noch nicht gefunden!

Egal ob es ein Experiment ist oder doch nur Entertainment. Es ist der Spiegel dessen, was wir uns über Jahre angeeignet haben. Nach Äußerlichkeiten bewerten. Nicht mehr auf das Wesentliche gucken. Von Vorurteilen Abschied nehmen. Die Show Love is Blind beweist, dass Hopfen und Malz noch nicht verloren sind. Unsere Gesellschaft ist lernfähig, wie ich und jeder Einzelne von uns. Ich wünsche allen ein Happy End!

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